Anfahrströme

  • Hallo zusammen


    Eine Frage in die Runde:


    Wir haben uns gerade gefragt wie hoch die Anfahrströme z.B. bei einer Re 450 oder einer Re 6/6 unter Volllast sind?


    Hat da irgendjemand Zahlen dazu?


    Gruss in die Runde
    Martin

    • Offizieller Beitrag

    Bei welcher Spannung? Primär 15kV? Zwischenkreis oder Motorenspannung? Dann müsstest du auch nach der Motoren-Nennspannung fragen, sonst ist die Aussage nicht sehr aussagekräftig.


    Bei der Ae 6/6 sehe ich, dass die Anzeigen bis über 3000 A reichen. Pro Motor. Mit der Angabe der Spitzenleistung kannst du dann auch die Motorenspannung ausrechnen.

  • Ach so, Vorbild. Nun ja.


    Bekannt ist hauptsächlich die "Stundenleistung am Rad". Für den Anfahrstrom interessiert weder die Stundenleistung noch das Rad, daher dürften die Spitzenströme ziemlich schwierig zu ermitteln sein.


    Am besten fragst du einen Lokführer, er soll mal guggen.


    Felix

  • Martin, du musst deine Frage nochmals neu formulieren. Denn Anfahrströme können nun wirklich an verschiedenen Orten vorkommen.


    Ich kann mich noch erinnern, wie mein alter Röhrenbildschirm im 16 2/3 Hz-Takt flackerte, wenn in Thalwil oder Oberrieden ein Zug anfuhr und beschleunigte. Hatte er die benötigte Geschwindigkeit erreicht, hörte das Flackern auf - auch wenn der Zug direkt vor meinem Fenster durchfuhr. Das zeigt also, dass in der Fahrleitung ein (Anfahr-)Strom floss, der ein Wechselmagnetfeld aufbaute.


    Du siehst - Anfahrströme treten bereits in der Fahrleitung auf.

    • Offizieller Beitrag

    In der Fahrleitung hast du aber im Verhältnis nur kleine Ströme. So 20-ca. 60A ist die Regel. Das ganze wird, jedenfalls bei modereren Fahrzeugen, auf 3x400V runter transformiert und geht direkt in den Stromrichter. Im Stromrichter wird die Zwischenkreisspannung gebildet. Diese ist unbelastet, als Beispiel NSB-FLIRT, 560V. Wird die Traktionsfreigabe erteilt, steigt sie auf 680V und beim Fahren auf ca. 750V. Die Zwischenkreisspannung ist Gleichstrom. Aus der Zwischenkreisspannung wird zum einen das Bordnetz (über HBU und HBU-Trafo) gespiesen bzw. HWR (frequenzabhängigkeit für Fahrmotor/Stromrichterlüftung) und BLG (Batterieladegerät). Der Rest der Stromrichter, sind drei Module, speisen die 3x400V für die Fahrmotor. Damit die Energie, welche im Stromrichter ist "verbrannt" werden kann, gibt es auf dem Dach noch einen VLU/OVL. Dieser dient zum einen Überspannungen zu verbrennen und zum anderen wird die Energie, welche im Störungsfall noch vorhanden ist, darüber vernichtet (in Wärme umgewandelt). Die exakten Fahrmotorströme müsste ich selber mal nachschauen.

  • br146.de bietet für die Thyristorlok der ÖBB Reihe 1044 (also eine Lok mit Gleichstromfahrmotoren, wie die Re 446 der SOB) folgende Werte an:
    Anfahrstrom max 2min 2000 A
    Stundenstrom 1300 A
    Stundenleistung 5280 kW


    Dies kann sicher mal die Grössenordnung aufzeigen.

  • Ich habe noch was gefunden. LOKI Spezial Re 6/6:
    Stundenleistung am Rad = 7832 kW
    Stundenzugkraft am Rad = 267 kN
    Anfahrzugkraft = 394 kN


    Wenn wir nun davon ausgehen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Zugkraft (Drehmoment) und Leistung gibt, dann können wir die Anfahrleistung am Rad berechnen:


    Anfahrleistung = 7832 kW * 394 / 267 = 11'557 kW aka 15'717 PS 8o


    Im LOKI Spezial ist auf Seite 32 eine Tabelle abgebildet, welche die Leerlaufspannungen der Trafoabgriffe des Stufenschalters angibt. Diese gehen von 0V (Stufe 0) bis 630V (Stufe 32). Damit kann dann der Summenstrom der sechs Fahrmotoren ausgerechnet werden. Allerdings dürfte die maximale Leistung kaum bei Stufe 32 erreicht werden, denn das Hochschalten der Stufen wird ja begrenzt, so dass der Maximalstrom nicht überschritten wird, und auch die Zugkraft muss im Auge behalten werden.


    Den Anfahrstrom in der Fahrleitung können wir auch berechnen. Allerdings brauchen wir noch einen Wirkungsgrad. Wenn wir für den Gesamtwirkungsgrad (Trafo und Motoren) 80% annehmen, und noch die Zugsammelschiene berücksichtigen (1000V 800A = 800kW), dann ergibt sich eine Anfahrleistung von


    P_anf = 11'557 kW / 0.8 + 800 kW = 15'246 kW


    bzw. ein Anfahrstrom in der Fahrleitung bzw. im Schleifstück von


    I_anf = P_anf / U = 15'246 kW / 15'000V = 1016 bzw. ca. 1000 A


    Dieses Ergebnis hat natürlich nicht den Anspruch auf "wissenschaftliche Genaugikeit". Es ist eher eine "wissenschaftliche Schätzung".


    Über den Strom müssten wir aber nochmal nachdenken. Denn im GeraMond Buch "Lok 2000" ist für den Stromabnehmer der Re 460 ein Nennstrom von 600A angegeben. :gruebel


    Die Italiener würden zu meiner Rechnung sagen: "Se non è vero, è bon trovato" :D


    Felix


    Edit meint: Wenn schon das Lok2000 Buch offen ist: Bei den Fahrmotoren ist angegeben:
    Nennstrom pro Phase 315A
    Nennleistung 1200kW
    Maximalleistung 1560kW
    Hier ist der Dreisatz zulässig. Das ergibt dann den Maximalstrom pro Motor von
    I_mot_max = I_nenn / P_nenn * P_max = 315 / 1200 * 1560 = 410A pro Phase.

    Alles sollte so einfach wie möglich sein - aber nicht einfacher.

    2 Mal editiert, zuletzt von fgee ()

  • Felix, deine Rechnung kann nicht stimmen (oder ich interpretiere sie falsch).


    Grundsätzlich (theoretisch den Extremfall betrachtet) ist die Anfahr*leistung* immer 0 (!), denn in dem Zeitpunkt, wo sich der Zug in Bewegung setzt, wird noch keine Leistung umgesetzt, sondern da gibt es erst eine Kraft, die wirkt. Sobald der Zug rollt (egal wie langsam) und Leistung erbracht werden muss (egal wie wenig), ist die Anfahrphase pedantisch betrachtet vorbei.
    Man kann sich das so vorstellen: Ich kann von Hand mit einem Habegger (wenn er gross genug ist) einen 1400 Tonnen-Güterzug "anfahren", und die von mir maximal erbrachte Leistung ist max. ein paar 100 Watt (wenn wir das ganze ganz extrem betrachten kann ich den Güterzug mit beliebig wenig Kraftaufwand "anfahren" - erst sobald er sich mit relevanter Geschwindigkeit bewegen soll muss ich tatsächlich Leistung aufbringen).


    Somit können bei 15 kV Fahrleitungsspannung in der Anfahrphase (im tiefen Geschwindigkeitsbereich) keine 1000en von Ampère Anfahrstrom zustande kommen.


    Anders sieht das natürlich im Fahrmotor aus. Da der Fahrmotor ja eine Kraft aufbringen muss, braucht es ein Magnetfeld, und dafür braucht es einen Strom. Da sind wir im Bereich 2500 - 3500 Ampère pro Fahrmotor.


    Wie passt das aber nun mit dem "0-Strom" in der Fahrleitung zusammen? Nun, wir haben ja den Trafo mit verschiedenen Abgriffen dazwischen. Die Abgriffe zweigen nichts anderes als verschiedene Spannungen ab (unterschiedliche Anzahl Wicklungen). Beim Anfahren wird nun erst eine sehr geringe Spannung zugeschaltet, welche aber im Stillstand schon zu sehr hohen Strömen im Fahrmotor führt. Da Strom und Spannung zwischen Primär- und Sekundärseite des Trafos umgekehrt proportional sind, ist der primärseitige Strom (15 kV) aber gering. Mit steigender Geschwindigkeit sinkt der Strom im Fahrmotor, man kann die Spannung erhöhen, der Strom steigt wieder. Das Produkt aus Strom und Spannung (die Leistung) steigt dabei an, und da primärseitig die Spannung konstant ist (15kV), steigt dort der Strom an.


    Was bedeutet das für den Strom in der Fahrleitung (und damit die von der Lok umgesetzte Leistung)? Dieser ist erst bei "hohen" Geschwindigkeiten am grössten - darunter sind die Fahrmotoren schlicht nicht in der Lage, soviel Leistung umzusetzen. Typischerweise ist die Leistungsgrenze bei europäischen Elektroloks bei 80-100 km/h erreicht, d.h. eine typische Elektrolok kann erst bei 80-100 km/h den Maximalstrom und damit die Maximalleistung aus der Fahrleitung ziehen.



    Und ja, die Betrachtung ist vereinfacht, natürlich gibt es auch thermische Verluste etc., so dass die theoretische 0-Leistung natürlich so nie stattfindet. Zudem ist das ganze Zeugs mit Strom/Spannung/Leistung bei Wechselstrom natürlich sowieso schüli kompliziert, aber für das Grundprinzip spielt das keine Rolle.

  • Wahrscheinlich hast du recht, David. Und tatsächlich wird eine Lok mit einer "kleinen" Fahrstufe (Spannungsanzapfung) angefahren. Schön zu sehen war das immer bei Loks mit Handrad als Kontroller.


    Etwas was ich aus dem Physikunterricht mitgenommen habe, sind die Einheitengleichungen. Ich weiss noch:


    W = N * m / s


    oder auf Deutsch:


    Kraft (N) ist, wenn ich an den Wagen ziehe.
    Arbeit (J = Nm) ist, wenn die Wagen sich dabei bewegen. (Reibungskoeffizient nicht vergessen.)
    "Hohe" Leistung ist, wenn ich die Arbeit "schnell" verrichte.


    Das Blöde ist nun: Ich werde bereits müde, wenn ich an den Wagen ziehe, auch wenn diese sich keinen mm bewegen :nixweiss
    (das ist dann das mit dem Anfahrstrom, nicht wahr?)


    Felix

  • Ui, da habe ich ja wieder mal was gefragt :lol Und ich bin nicht mal mehr ganz sicher warum mein Arbeitskollege das wissen wollte. Aber ich gebs so weiter auch wenn ich selber nochmal rechnen muss damit ich es dann auch verstanden habe :mahlzeit


    Danke!

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